Das erste Reportagenfestival in Bern
„Früher gab es das Lagerfeuer, an dem die spannendsten Geschichten erzählt wurden. Heute gibt es Reportagen“. So steht es in den redaktionellen Richtlinien des Magazins im handlichen Taschenbuchformat, das in Bern beheimatet ist und viermal jährlich erscheint. Wer es kennt, der weiss was es bedeutet, eine gedankliche Reise voller Intensität und Spannung innerhalb kürzester Zeit zurückzulegen und ein paar Seiten weiter eine echte Horizonterweiterung erfahren zu haben.
Davon überzeugt, dass tiefgründiger Journalismus grössere Beachtung verdient, initiierte die Redaktion des Reportagenmagazins, gemeinsam mit dem Verein „Bern welcome“, dieses Jahr das erste Reportagenfestival. Mit 60 Reporterinnen und Reportern aus aller Welt und jeder Menge spannender Geschichten im Gepäck.
Vier Frauen, vier mutige Wege
Vier starke, wortgewandte junge Frauen sitzen an diesem zweiten Morgen des Reportagenfestivals vor dem Plenum. Beeindruckend sind für mich allein schon ihre Lebensläufe und Rechercheschwerpunkte, die in Kurzfassung im Programmheft abgedruckt sind.
Sara Manisera aus Italien ist Reporterin mit Schwerpunkt auf Länder des nahen Ostens. Sie recherchiert und schreibt vor allem über persönliche Geschichten aus Syrien und dem Irak. Für authentische Informationen und echte Nähe geht sie unerschrocken in die Brennpunkte des Landes und lebte beispielsweise für einige Tage gemeinsam mit den Frauen von Isis Kämpfern in deren Lagern.
Amal El-Mekki ist unabhängige Journalistin in Tunesien. Keinen Satz höre ich von ihr, der nicht bestimmt und kraftvoll ihre Unerschrockenheit gegenüber der bestehenden tunesischen Regierung zum Ausdruck bringt. Feministin durch und durch schreibt sie in Tunesien und international für Menschenrechte. Für die Wahrheit steht sie ein und nimmt für die Liebe zu ihrem Beruf auch teilweise gravierende Angriffe durch Cybermobbing und frauenfeindliche Kommentare auf sich.
Sarah Eleazar lebt und schreibt in Pakistan über Arbeitsrechte und religiöse Minderheiten. Dafür reibt sie sich beständig an bestehenden Normen, sie eckt an und spielt verschiedene Rollen, um mit unterschiedlichen Positionen in Kontakt zu kommen. Eines ihrer Hauptanliegen ist es vor allem die zu Wort kommen zu lassen, die in ihrem Land sonst keine Stimme haben.
Esther Göbel schliesslich, die an diesem Morgen das Interview führt, ist selbst Redakteurin des Reportagenmagazins, ausserdem Buchautorin und Feministin. Das mag in der Schweiz nun weniger gefährlich sein als anderswo, aber spätestens seit dem Frauenstreik ist den meisten klar, dass es auch hier jede Menge dringenden Handlungsbedarf in Fragen der Gleichstellung und respektvollen Behandlung gegenüber uns Frauen gibt.
Der weibliche Blick auf den Reporterberuf
Es gibt viele Dinge, positive wie negative, mit denen Reporterinnen anders konfrontiert sind als ihre männlichen Kollegen. Sarah Eleazar spricht von ihren Erfahrungen im Kontakt mit religiösen Minderheiten: „Du musst stets sehr vorsichtig und achtsam auf den kulturellen Rahmen sein. Wenn ich mit Frauen einer muslimischen Minderheit sprechen möchte, werde ich möglicherweise abgewiesen wenn ich selbst kein Kopftuch trage. Und was tue ich dann? Natürlich werde ich in diesem Moment nicht diskutieren sondern mich anpassen, schliesslich bin ich Journalistin und ich möchte die Geschichte…“
„Natürlich musst du häufig auch genau prüfen wer deine Kollegen sind, mit denen du bei der Recherche unterwegs bist“ ergänzt Sara Manisera. Es gibt Recherchen und Situationen im täglichen Geschäft der Reporterinnen, wo es erleichternd ist die männlichen Kollegen im Vorfeld zu kennen und sich gegebenenfalls auf Schutz und Unterstützung verlassen zu können. Manisera spricht aber auch von den Vorteilen für die individuelle Recherche, die sie als Frau gerade in Ländern des nahen Ostens häufig erlebt. „Ich habe in Syrien für eine Reportage eine zeitlang mit den Frauen der Isis Kämpfer zusammengelebt. Im Alltag kann ich als Frau viel leichter eine Nähe zu ihnen herstellen, als das einem männlichen Kollegen möglich wäre. Am Ende des Tages sind wir alle Frauen und uns beschäftigen ähnliche Dinge. So baut sich viel schneller ein Vertrauensverhältnis auf, der Zugang ist intimer“.
Familiengründung als erfolgreiche Reporterin – ist das vereinbar ?
Klar, diese Frage musste früher oder später kommen. Es ist schliesslich eine dieser Fragen die jede von uns Frauen betrifft, die ein erfülltes Berufsleben mit einer glücklichen Partnerschaft und Kindern verbinden wollen. Leicht vorstellbar, dass dieses Thema für erfolgreiche Journalistinnen und Reporterinnen, die in der Regel freiberuflich und auftragsbasiert arbeiten, häufig einen unvereinbaren Widerspruch darstellt. Das zeigt sich an diesem Morgen auch ganz konkret. Alle vier Frauen des Panels, alle circa Mitte dreissig, sind bisher kinderlos. Allerdings nicht etwa, weil sie nicht gerne auch Familie neben ihrer Berufung hätten, sondern weil es die Bedingungen in allen Ländern schlichtweg nicht zulassen beides zu vereinen !!
„In Pakistan kommt es so gut wie nie vor, dass erfolgreiche Journalistinnen Kinder haben“ betont Sarah Eleazar. „Wer schwanger ist, wird gekündigt oder bekommt keine Aufträge mehr, die Verletzlichkeit der Frau wird sofort ausgenutzt“.
Amal El-Mekki war sechs Jahre verheiratet, bevor ihre Ehe unter anderem an der Überbelastung durch das ständige Feuer öffentlicher und persönlicher Kritik, bedingt durch ihren Beruf, zerbrach. „Gott sei Dank habe ich kein Kind“ ist ihre Antwort, denn bei „all dem Stress und Druck der zu ihrer täglichen Arbeit gehört, hätte ein Kind massiv unter den Folgen zu leiden“.
Die beiden Europäerinnen des Panels, Sara Manisera aus Italien und Esther Göbel aus der Schweiz, wagen es immerhin die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass doch eigentlich Beides vereinbar sein sollte, wenn der Staat entsprechende Absicherung und faire Möglichkeiten gewährleisten würde. Genau das tut er aber eben nicht – weder hier noch in Italien, da sind sich beide Frauen einig.
Women-Movement: „Wenn man leise ist passiert nichts“
„Man muss oft laut und aggressiv sein, damit die eigenen Geschichten platziert werden“, sagt Sarah Eleazar und Amal El-Mekki fügt hinzu: „Wenn man leise ist passiert nichts“. Esther Göbel wirft zum Abschluss die Frage in die Runde, ob ein internationaler Zusammenschluss von Journalistinnen hilfreich oder sogar notwendig sein könnte und ob sich durch ein solches „Women- Movement“ im Journalismus die Bedingungen schneller verbessern würden. Die Reaktionen fallen deutlich aus, mit den Worten von Sarah Eleazar besteht grosser Bedarf nach dem Aufbau eines „schützenden, sich gegenseitig unterstützenden Feldes“, der Ruf nach Vernetzung und Kooperation ist gross.
Manisera ergänzt, dass es grundsätzlich ein viel grösseres Investment in qualitativ hochwertigen Journalismus und stabilere Bezahlsysteme für freie Reporterinnen geben muss. Dafür lohnt es sich gemeinsam sichtbar zu sein. Esther Göbel ist am Ende zuversichtlich: „Vielleicht gründen wir ja direkt im Anschluss an das Festival einen internationalen Zusammenschluss von Journalistinnen und Reporterinnen“.
Über eines sind sich alle vier allerdings einig: Sie haben einen wunderbaren Beruf, den sie trotz aller Herausforderungen nicht tauschen würden. Am Ende zählen die Geschichten und die Menschen dahinter. Damit die Welt davon erfährt, sind die vier Frauen gerne laut und unbequem.