Über Stille und die Lektion von Tschechow

Sound of Silence, picture composition by Perla Ciommi

Anfang dieses Jahres habe ich die Ausstellung «Sounds of Silence» im Museum für Kommunikation in Bern besucht. Es war für mich neu, in einer Ausstellung nicht durch visuelle Hinweise geführt zu werden, wie das in traditionellen Museen der Fall ist. Stattdessen werden die Besucher mithilfe von Ton in den Kopfhörern durch die Ausstellung geleitet. Zum ersten Mal erkannte ich, dass dieses Museum den Versuch unternahm, ein immaterielles Phänomen zu beleuchten, anstatt typischerweise ein materielles Objekt in der Vitrine zu zeigen. Stille. Was ist es also?

Stille wird oft durch die Abwesenheit von etwas definiert und dadurch negativ behaftet: Mangel an Klang, im Gegensatz zur Kommunikation. Tatsächlich kann Klang so mächtig wie Wörter sein und eine Vielzahl von Bedeutungen haben.

Moderatoren im Radio oder Fernsehen legen häufig nach jeweils 3-4 Worten eine kleine Pause ein. Wir bemerken es vielleicht nicht, aber in der Tat werden professionelle Moderatoren gezielt darin geschult. Warum tun sie das? Zuerst einmal geben sie uns so die Möglichkeit, die Informationen zu verarbeiten. Zweitens trennen Pausen die verschiedenen Bedeutungsblöcke voneinander.

Stille kann multidimensional sein. Es gibt auch Tausende von Möglichkeiten, sie zu interpretieren. Nicht alle Kulturen sehen Stille als etwas Negatives. «Rede ist Silber, aber Schweigen ist Gold» – so lautet das Sprichwort. Bemerkenswert ist, dass in den meisten Theaterstücken von Tschechow die Menschen, die zu viel reden, als negative Figuren erscheinen. Sie füllen den akustischen Raum mit Banalitäten, Unsinn oder irrelevanten Sätzen. Im Gegensatz dazu sprechen Charaktere mit einem tiefen Innenleben nicht viel. Wenn sie es tun, dann haben sie oft Pausen zwischen dem Gesprochenen. Was möchte der berühmte Dramatiker uns mit diesen Pausen zu verstehen geben?

In Tschechows Stücken rufen die stillen Handlungen oft kleine Erdbeben in den Seelen der Helden hervor. In «Cherry Orchad» gibt es oft Pausen aufgrund der überwältigenden Gefühle und tiefen Sorgen. In «Three Sisters» dagegen, werden Pausen oft mit Musik gefüllt und erscheinen uns dadurch als die mächtigsten und sinnvollsten Aussagen. Pausen oder Stille bewegen die Musik so sehr, wie sie die Sprache bewegen: Wir können Musik genissen, weil sie im Gegensatz zur Stille steht. Sie wurde aus der Stille geboren und endet auch wieder damit. Bei der Rede ist es nicht anders.

Die Pausen in Tschechows Spiel sind so wichtig, dass Stanislavsky sie in ihrer Menge in seiner Inszenierung sogar verdoppelt hat. Pausen, auch wenn sie uns schmerzhaft erscheinen, bewegen in seinen Theaterstücken die szenische Aktion.
Kleine Momente der Stille in Tschechows Stücken offenbaren auch Probleme der menschlichen Kommunikation. Das absurde Drama führte diese Idee noch einen Schritt weiter und hebt sie auf eine Ebene, auf der Protagonisten hauptsächlich in der Stille existieren und Dialoge sie nur sporadisch unterbrechen.

Aber was lehren uns die Lektionen aus Tschechow? Wie erleuchten sie unsere heutige Realität? Ich glaube, dass Tschechow enthüllen könnte, was hinter dem Schweigen all jener Menschen steckt, die unsicher sind, in Trauer oder Depressionen leben, ihren Willen unterdrückt haben oder die keine Motivation haben, für sich selbst einzustehen und über die Routine hinauszuwachsen.

Wenn du also das nächste Mal merkst, dass die Person, mit der du sprichst, es vorzieht, einige Themen zum Schweigen zu bringen, versuche dich an Tschechow zu erinnern und überlege, was hinter all diesen Pausen stecken könnte. Um die Diskussion zu erweitern, können Pausen und das Stillschweigen einiger Themen sehr politisch sein. Dies ist jedoch eine andere Geschichte. Vielleicht kann das «SonOhr Festival» zusammen mit der Ausstellung «Sound of Silence» im Museum für Kommunikation in Bern ein Licht auf sie werfen…..

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SonOhr Festival
Von 22. bis 24. Februar gibt es in Bern zum neunten Mal das «SonOhr Radio und Podcast Festival». Das Programm dieses Festivals beinhaltet neben vielen anderen Events auch die Podiumsdiskussion «Intimität und die Schweizer – Wie bringt man sie zum Reden?» (Die Diskussion findet am 23. Februar um 21:30 Uhr im Kino «Rex» statt). [/su_note]

Über Anna Butan

Anna speaks French, German, English and Russian. She obtained a Master Degree at the University of Bern (Cultural Studies) and a Bachelor at the Lomonosov Moscow State University (Philology). Anna has big interest in such themes as: identity, cultural hybridity, music, and raising children in multicultural context. She is convinced that our children can teach us a lot. They are not born with stereotypes but they risk to acquire them later under external circumstances. Our task as parents is to help them grow as conscious and culture-aware humans.

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