Stimmen gegen Rassismus auf dem Dorfplatz Tscharni

Am 19. März 2025 hat Lucify.ch gemeinsam mit dem Quartiertreff Tscharnergut eine Medienwerkstatt auf dem Dorfplatz organisiert. Während wir Geschichten über Erlebnisse mit Rassismus von Bewohnerinnen des Quartiers sammelten und aufschrieben, haben wir auch Schlüsselpersonen im Quartier – Sozialarbeiterinnen, Kinderbetreuerinnen, Projektleiterinnen usw. – zu ihrer Arbeit und ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus befragt.


Silvia Birnstiel, Quartierarbeiterin im Quartier Tscharnergut

Ich bin Silvia und arbeite als Quartierarbeiterin im Quartierzentrum Tscharnergut. Ausserdem bin ich die Leiterin des Projekts «Femmes-Tische Bern», zuständig für die Koordination von «Familie, Quartier und Schule» sowie Projektleiterin vom «Infomarkt».

Heute führen wir eine grosse Aktion gemeinsam mit vielen Institutionen aus dem Tscharnergut durch. Die Aktion findet im Rahmen der 15. Aktionswoche gegen Rassismus der Stadt Bern statt. Dabei sind unter anderem der Kindertreff Mali und der Kindertreff Tscharni (DOK), Westwind6, das Quartierzentrum Tscharnergut, Futurina, das Mütterzentrum Bern-West – und natürlich ihr, Lucify.ch, mit eurer Medienwerkstatt.

Wir arbeiten das ganze Jahr über zum Thema Rassismus. Zum Beispiel haben wir im Rahmen des Programms Femmes-Tische in Bern das Moderationsset «Zusammen gegen Rassismus» mitentwickelt. Aber Rassismus ist überall. Man muss nicht direkt am Thema arbeiten, um ihn zu spüren. Rassismus ist alltäglich, vor allem für Migrant*innen.

Ich hätte viele Geschichten aus meinem Umfeld zu erzählen, auch persönliche Erfahrungen. Besonders im öffentlichen Raum – in Zügen, an Bahnhöfen – werde ich häufig angefeindet, weil meine Stimme etwas lauter ist.

Einmal war ich im Berner Oberland unterwegs und verteilte mit anderen Flyer. Eine Person sah mich an und sagte: «Warum fährst du nicht dahin zurück, wo du herkommst?» Solche Aussagen sind leider typisch. Immer wieder treffe ich Menschen, die es stört, wenn Migrant*innen im Zug neben ihnen sitzen. Sie beschimpfen mich oder beleidigen mich offen.

Ein weiteres Thema, für das ich mich engagiere, ist die Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen – egal ob gut oder weniger gut qualifiziert. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat in vielen Bereichen Fachkräftemangel. Wir sollten die Qualifikationen und Erfahrungen von Migrantinnen anerkennen, anstatt zu verlangen, dass sie hier ganz von vorn anfangen. Diese Menschen bringen viel mit – nicht nur berufliche Erfahrung, sondern auch Empathie und Verständnis. Viele sind hervorragend qualifiziert, bekommen aber kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.


Esmeralda Hoxha, Koordinatorin Westwind6

Ich heisse Esmeralda und bin Koordinatorin von Westwind6 sowie Moderatorin von Femmes-Tische auf Albanisch. Heute sind wir von Westwind 6 hier mit einer unserer Künstlerinnen, Claudia. Gemeinsam gestalten wir eine grosse «Wimmel-Leinwand», an der Grosse und Kleine mitwirken dürfen. Es geht um unser Quartier – so wie es ist: multikulturell, offen und vielfältig. Wir wollen zeigen, dass wir – wie man hier auf dem Fest sieht – alle unterschiedlich und doch gemeinsam glücklich sind.


Suela Kasmi, Leiterin Soziokulturelle Angebot und Spiegruppe Mutterzentrum Bern West

Ich heisse Suela, lebe und arbeite im Tscharnergut. Ich bin im Mütterzentrum Bern West tätig und teilweise auch beim DOK im «Kindertreff Tscharnergut», vor allem mit den älteren Kindern.

Heute erzähle ich Geschichten über Familien, über Kinder und über den Umgang mit Rassismus. Es ist sehr wichtig, dass wir präventiv arbeiten – zum Beispiel mit Büchern – noch bevor Kinder selbst Rassismus erfahren. So können wir ihnen Wissen vermitteln und gemeinsam «Stopp» sagen.

Bei Kinderbüchern ist es oft schwierig: Viele Kinder finden sich in den Geschichten nicht wieder. Es gibt noch immer zu viele Bücher, in denen nur weisse, perfekt gestylte Menschen vorkommen. Oder nur klassische Familien mit Mutter, Vater und Kindern. Die Vielfalt, die unsere Gesellschaft ausmacht, spiegelt sich kaum wider. Aber ich denke, durch präventive Arbeit werden es immer mehr.

Ein Buch, das ich besonders gerne mit Kindern lese, heisst: Du gehörst dazu – das grosse Buch der Familien. Es erzählt von unterschiedlichen Familien – wie sie auch hier im Quartier leben. Wir sind so verschieden, kommen aus unterschiedlichen Ländern, aber unsere Gemeinschaft ist uns allen wichtig. Es ist schön, sich auch hier wie in einer Familie zu fühlen. Egal, woher wir kommen – wir haben schöne und schwierige Seiten, aber so wie wir sind, gehören wir dazu.

Ich persönlich habe nur selten direkt Rassismus erlebt. Aber bei meinen Kindern, vor allem bei meinem ältesten Sohn, habe ich es sehr deutlich gespürt. Für Kinder ist es schwierig, mit solchen Situationen umzugehen – besonders wenn der Rassismus von Erwachsenen ausgeht. Als Erwachsene kann ich besser damit umgehen und mich wehren. Aber wenn es um Kinder geht, ist es sehr schmerzhaft.

Während der Woche gegen Rassismus wird plötzlich überall darüber gesprochen – in der Zeitung, im Tram, auf Plakaten. Und dann verschwindet das Thema wieder. Es wird vergessen. Aus meiner Sicht sollte man Rassismus im Alltag immer wieder ansprechen – vor allem präventiv. Denn wenn wir erst handeln, wenn etwas passiert ist, ist es meist zu spät.


Yohana Gulay, Mitarbeiterin Mütterzentrum Bern West

Hallo, ich bin Yohana. Ich komme aus Äthiopien und lebe seit fünf Jahren in der Schweiz. Ich habe einen Sohn und arbeite im Mütterzentrum Bern West. Heute haben wir die Kinder geschminkt – es war sehr schön. Viele Kinder aus unterschiedlichen Kulturen haben mitgemacht, mit verschiedenen Farben, und alle haben sich gleich gefühlt.

Im Alltag und in den Medien sieht es aber oft anders aus. Im Fernsehen scheint alles gleich, aber in der Realität ist das nicht so. Es gibt Rassismus – am Arbeitsplatz, in der Schule, besonders wegen der Sprache und der Hautfarbe. Ich bin schwarz und spüre das oft – zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder früher, als ich in der Reinigung arbeitete.

Deshalb finde ich es so wichtig, über Rassismus zu sprechen. Es ist ein wertvolles Thema.


Gelebte Vielfalt, geteilter Schmerz – Community als Stärke

Dieser Tag war ein lebendiges Beispiel gelebter Vielfalt – ein Ort, an dem Menschen verschiedenster Herkunft zusammenkamen, miteinander sprachen, lachten und sich begegneten. Nur die traurigen Erinnerungen an rassistische Erfahrungen warfen eine negative Note auf das gemeinsame Erlebnis. Doch gerade das Zusammensein, das gegenseitige Zuhören und das gemeinsame Gestalten zeigten, dass eine Welt ohne Diskriminierung möglich ist – eine Welt, in der wir uns alle gesehen, gehört und respektiert fühlen.

Wir finden auch wie Yohana, dass es wichtig ist, über Rassismus zu sprechen. Schweigen trennt – Zuhören, Teilen und Handeln halten unsere Gesellschaft zusammen.

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