Die Inszenierung des Zürcher Maxim-Theaters „Gleichzeit – Boulevard des Brockenhauses“ ist ein Theaterstück, das die vielfältigen Dimensionen des Lebens spiegelt. Am 14. und 16. März in der Zentralwäscherei, Zürich und am 20. März in der Alten Turnhalle, Wetzikon.
Ein Ort, an dem sich Träumen lässt und der Sehnsüchte weckt. Goldene Schuhe, die Geschichten erzählen. Secondhand Möbel und Kleider, die Erinnerungen wachrufen. „Gleichzeit – Boulevard des Brockenhauses“ heisst die Inszenierung des Zürcher Maxim-Theaters, indem neun Laienschauspieler:innen verschiedenster Herkunft gemeinsam auf der Bühne stehen.
Premiere hatte das Stück bereits im November vergangenen Jahres und nach insgesamt neun Aufführungen wird es nun am 14. und 16. März in der Zentralwäscherei in Zürich und am 20. März in der Alten Turnhalle, Wetzikon wiederholt.
„GLEICHZEIT“ ist ein Theaterstück, in dem neun Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund Erinnerungen, Emotionen, Ähnlichkeiten und Trennungen teilen und gleichzeitig Themen wie universelle Verbundenheit und individuelle Isolation erforschen. Das Stück wurde in einem kooperativen Prozess von den Regisseurinnen Salla Rupa und Leila Vidal Sephiha, die Dramaturgie von Nika Parkhomovskaia gemeinsam mit allen beteiligten Schauspieler:innen entwickelt. Er spiegelt die Tradition des Maxim-Theaters wieder, in der die Darsteller:innen partizipativ arbeiten und Teile ihres Lebens auf die Bühne bringen.
Gleichzeitig – ein überraschendes, abwechslungsreiches und spannendes Theatererlebnis
Wie schon der volle Name besagt, spielt „Gleichzeit“ in einem Brockenhaus. In diesem Zürcher Second-Hand-Laden finden die Schauspieler:innen Objekte, die sie melancholisch stimmen, weil sie ihnen an gescheiterte Träume erinnern. Die Vergangenheit trifft auf die Gegenwart, wenn ein rotes Kleid die Lust an der Liebe hochspült, aber kurze Zeit später an den Krieg in der Ukraine erinnert. Es sind die „Gleichzeiten“ von Tragik und Humor, von Freude und Verlust, die die Zuschauer:innen förmlich durch das Brockenhaus mitlaufen lassen. Raubkunst, Gender, Hilflosigkeit, Identität – so verschieden die Objekte in einem Brockenhaus sind, so divers sind die Themen in „Gleichzeit“. Themen, die niemanden unberührt lassen, weil sie so universell und drängend sind in diesen zutiefst politisch gespaltenen Zeiten.
Obwohl inhaltlich herausfordernd, erzeugt der Erzählstil von GLEICHZEIT eine kreative und lebendige Dynamik, mit dem Ziel, dem Betrachter eine tiefgreifende Reflexion über die Vielfältigkeit und Komplexität des menschlichen Lebens zu bieten. Durch die innovativen Choreografien, die sich mit ungewöhnlichen Interviews mit Passanten auf der Bühne über die Wahrnehmung von Zeit und Gleichzeitigkeit verflechten, entsteht ein überraschendes, abwechslungsreiches und spannendes Theatererlebnis, das den Zuschauer mitreisst und absolut sehens- und erlebenswert ist.
Dem Stück gelingt es, harmonisch zwischen Leichtigkeit und Schwere zu wechseln – genau wie die vielfältige Komplexität des Lebens. Fasziniert von dem ungewöhnlichen Stil, für den sich die Regisseurinnen entschieden haben, und von ihrem Mut, teils gegensätzliche Themen in einem Stück anzugehen, habe ich ihnen einige Fragen gestellt.
Ich bin an dem Ausgangspunkt eures Stücks interessiert. Kann ein Umstand gleichzeitig Verbindung und Trennung bewirken?
Leila, Salla, Nika: Ein Umstand kann tatsächlich gleichzeitig Verbindung und Trennung bewirken – genau wie die Existenz eines Zentauren oder einer Meerjungfrau. Diese Wesen verkörpern eine perfekte Metamorphose, in der zwei gegensätzliche Elemente vereint sind: Mensch und Tier, Land und Wasser, Zivilisation und Natur. Die Meerjungfrau aus GLEICHZEIT ist genau in diesem Zwiespalt gefangen. Ihr menschlicher Oberkörper ermöglicht ihr eine Verbindung zur Welt der Menschen – sie kann fühlen, sprechen, lieben. Doch ihr fischähnlicher Unterleib trennt sie gleichzeitig von ihnen, macht sie zur Fremden, zur Unverstandenen. Während sie mit dem Ozean eins ist, bleibt das Land ihr verwehrt. Diese Dualität ist die Essenz der Gleichzeitigkeit: Das, was verbindet, trennt auch. Das, was Einssein schafft, erzeugt zugleich Distanz. In ihrer Existenz spiegelt sich ein universelles Paradox – das gleichzeitige Sehnen nach Zugehörigkeit und Freiheit.
Trennung und Verbindung koexistieren letztendlich in jedem Fragment des Stückes. Zum Beispiel auch in der Geschichte einer Frau, die vor Krieg und Gewalt fliehen wollte und deshalb gezwungen war, ihre Heimat zu verlassen, sich aber jetzt vielleicht noch mehr mit ihrer Heimat und ihrer dort verbliebenen Familie verbunden fühlt. Obwohl sie formell von allem, was ihr lieb und wertvoll ist, getrennt ist, fühlt sie sich nun noch mehr damit verbunden als zuvor.
Was waren die grundlegenden sozialen und kollektiven Impulse, die zu dieser Reflexion geführt haben?
Leila, Salla, Nika: Unsere heutige Zeit ist manchmal fast verrückt machend. Unsere Erfahrung vom Dasein in unserer globalisierten Welt ist durchdrungen von Ambivalenzen, Ambiguitäten, Paradoxen, Dualitäten, Gegensätzen, Gleichzeitigkeiten, Parallelitäten. Wie halten wir es überhaupt aus?
Wie gehen wir mit diesen Differenzen auf allen Ebenen, sowohl geopolitisch, politisch, ökonomisch, emotional, rational und weltanschaulich um?
Mit den ständigen Nachrichten von schlimmen Ereignissen, Gewalt und Krieg in mehr oder weniger vertrauten Ländern, während wir hier uns durch unseren Alltag durchkämpfen, und aber auch die Liebe oder ein Lachen sich zeigt. In der Gegenwart von Leben und Tod jede Sekunde?
Für diejenigen unter uns, die kürzlich zugewandert sind, alt und neu zugleich sind, wie fühlt sich die persönliche Erfahrung, die Erfahrung von nahestehenden Personen und der gesamte soziopolitische und menschliche Kontext?
Wie sehr leben wir innerlich mit gemischten Gefühlen, zwischen unseren Erinnerungen aus der Vergangenheit und unsere Sehnsüchte und Wünschen für die Zukunft?
Wie können wir im selben Moment Widersprüche erleben – Freude und Verlust, Verbundenheit und Isolation?
Wie können wir alle gleichzeitig existieren und dennoch so getrennt sein?
All diese Fragen standen als Ausgangspunkt für unsere theatralische Reise, um die GLEICHZEIT.
Wie ist diese Theaterproduktion entstanden: wer seid ihr, woher kommt ihr, wie seid zu diese Projekt gekommen?
Leila, Salla, Nika: Wir sind eine Theatergruppe mit Laien und Semiprofis von hier und Zugewanderten gemischt, mit einem breiten Spektrum an Alter, Gender und sozio-professioneller Diversität im Ensemble und im künstlerischen Team. Wir erproben kollektive Kreativität und horizontale Arbeitsmethoden. Dieses Theaterstück war eine kollektive Stückentwicklung, bei der verschiedene Brockenhausobjekte als Initialimpuls für die Kreation dienten.
Eine der ersten Aufgaben fürs Ensemble war, mit einem Budget von 17 CHF pro Person ein Objekt mit einem Bezug zum Thema Gleichzeit im Brockenhaus zu erwerben. Die entdeckten Gegenstände dienten dann im Prozess nicht nur als Dinge, sondern auch als Träger von Geschichten und Erinnerungen, die durch die Zeit und von Hand zu Hand weitergereicht wurden.
Was würden diese Objekte denn sagen, wenn sie sprechen könnten? Wie würde der Dialog aussehen, den sie in der Nacht anfangen würden? Welche Vergangenheiten tragen sie in sich und von welchen anderen Leben würden sie erzählen, welche Erinnerungen und Gerüche würden hochkommen? Die daraus resultierenden Improvisationen verwandelten sich zu Ideenfindungen und Szenenentwicklungen.




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GLEICHZEIT– Boulevard des Brockenhauses, von und mit: Gül Doyuk, Gabi Mengel, Amowie Oreoghene, Victoria Panina, Maryury Saldaña Suarez, Osmir Santiesteban Peña, Barbara Serfoezoe, Nele Schweichel, Lupita Valverde
Co-Regie: Salla Ruppa, Leila Vidal Sephiha; Dramaturgie: Nika Parkhomovskaia: Bühne: Ksenia Shachneva; musikalische Leitung: Susan Wohlgemuth; Regieassistenz: Meret Schmid; Licht: Yahya Hazrouka; Produktionsleitung: Laura Bellwald-Steiner; Oeil Extérieur: Hannan Salamat
Spieldaten: 14. und 16. März in der Zentralwäscherei, Zürich und am 20. März in der Alten Turnhalle, Wetzikon.
Eintritt: 25.-/15.- (ermässigt)
Ticketreservationen: 043 317 16 27 oder buero@maximtheater.ch
Mehr Infos: www.maximtheater.ch