Heute ist der Schweizer der Flüchtlingstag. Als ich davon hörte, war ich motiviert, meine Geschichte zu erzählen. Eine lange Geschichte rund um diesen Status namens „Flüchtling“. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag meiner Abreise am 25. Februar 2013.
In Syrien lebte ich in einem Quartier, in dem verschiedene Sekten wie Aleviten (die Mehrheit), Christen und Sunniten lebten. Mit Beginn der Volksrevolution im Jahr 2012 war ich gerade siebzehn und alles wurde anders, als ich beschloss, mich der Volksbewegung anzuschließen. Vorher waren alle nett, dann sah alles anders aus.
Die meisten Nachbarn mochten die Menschen, die sich der Revolution anschlossen, nicht. Sie begannen nun mich und meine Familie zu beschuldigen, weil ich die Diktatur des regierenden Präsidenten Assad und seines Regimes nicht akzeptierte. Als ich den ersten Schuss in unserer Quartier hörte, machte ich mir grosse Sorgen darüber, was mit uns passieren würde. Eilig packte ich eine kleine Tasche, darin meine Lieblingssachen, ein paar Bilder, meine bunte Bettdecke, mein Skizzenbuch und jede Menge Farben hinein. Jeden Tag habe ich mir gesagt, wenn es schlimm wird, nehme ich meine Tasche und laufe mit meiner Familie weg.
Sie drohten, dass sie uns alle töten würden, wenn wir das Haus nicht sofort verliessen. Ich lachte innerlich und schaute auf meine Tasche. Nachdem sie es gründlich durchsucht hatten, warfen sie den Inhalt auf den Boden. Aber es war fertig. Ich konnte nicht wieder alle meine Sachen packen. Ich habe ein paar Sachen mitgenommen und bin mit meiner Familie um drei Uhr morgens weggelaufen.
„Ich musste mein neues Zuhause wieder verlassen. Diesmal ohne meine Tasche voller Erinnerungen und eine bunte Bettdecke. Ohne Vorwarnung. Ich hatte keine Chance, mich von meiner Familie zu verabschieden. Ich habe meine Mutter, meinen Vater, meine Brüder, meine Schwester nicht geküsst.“
Illustration by Noor Alshahhal
Wir sind also in den Libanon gegangen, weil es ein Land ganz in der Nähe meiner Stadt ist. Dort konnten wir eine Weile bleiben. Wir dachten, dass wir bald wieder zurückkommen könnten. Ich verbrachte 10 Jahre im Libanon und bekam einen neuen “Titel” für mich: „Ich bin Nour, ein syrischer Flüchtling im Libanon”.
Im Libanon habe ich mich für ein Studium der Massenkommunikation beworben. Nachdem ich die Unterdrückung der freien Meinungsäusserung in Syrien erlebt habe, wollte ich lernen, wie ich über mich selbst, meine Geschichte und die Menschen in Syrien schreiben konnte. Ausserdem habe ich ehrenamtlich bei einer örtlichen Organisation gearbeitet, die Flüchtlinge unterstützt. Meine Rolle veränderte sich vom Hilfesuchenden zum Hilfegeberin.
Ich besuchte eine Sonderausbildung an der “American University of Beirut” und entwarf Projekte, in denen Frauen, Jugendliche und Kinder einen sicheren Ort finden konnten. Ich habe als Forscherin zu Flüchtlingsfragen gearbeitet. Mein Hauptfokus lag auf den menschlichen und politischen Rechten jedes Menschen, so dass Menschen sicher sind und ihre Stimme frei nutzen können.
Das Regime im Libanon, das mit dem Assad-Regime in Syrien verbündet ist, hat mich mehrmals verhaftet. Ich musste mein neues Zuhause wieder verlassen. Diesmal ohne meine Tasche voller Erinnerungen und eine bunte Bettdecke. Ohne Vorwarnung. Ich hatte keine Chance, mich von meiner Familie zu verabschieden. Ich habe meine Mutter, meinen Vater, meine Brüder, meine Schwester nicht geküsst.
Heute beende ich mein erstes Jahr in der Schweiz, um ein neues Asyljahr zu erhalten. Damit sind elf Jahre von „Flüchtlingsstatus“ abgeschlossen. Elf Jahre von Asyl und ein neuer Titel: „Syrischer Flüchtling in der Schweiz“.
Jetzt bin ich „ein syrischer Flüchtling in der Schweiz“.