Von aussen betrachtet scheint es so, dass für Frauen in einem Land wie der Schweiz alles geklärt ist. Doch auch im Land der Menschenrechte ist Gewalt gegen Frauen so strukturell verankert wie anderswo. Der 14. Juni 2019 war der Tag des Frauenstreiks in der Schweiz, an dem mehr als eine halbe Million Frauen bei einer beispiellosen Veranstaltung auf die Strasse gingen. Frauen marschierten wegen Ungleichheit und struktureller Gewalt, denen sie hier im Land ausgesetzt sind.
Im Allgemeinen wird in diesem Zusammenhang häufig über Gewalt gegen Frauen und Mädchen, ihren Umfang und ihre Herausforderungen, gesprochen. Es wurden bisweilen auch Fortschritte erzielt, die in dieser Hinsicht anerkannt werden sollten. Dennoch stellt die Kluft zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen nach wie vor eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft dar, insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung und die Anwendung der Rechte. Es ist bisher nur wenig oder gar nichts über die Gewaltproblematik bekannt, unter denen ältere Frauen zwischen 60 und 75 Jahren leiden. Für ältere Frauen ist es immer noch eine Herausforderung, über ihre Rechte und die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, zu sprechen.
Der CFD führt seit 12 Jahren die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ durch, die sich in diesem Jahr auf das Thema „Gewalt gegen ältere Frauen“ konzentriert. Die Probleme im Zusammenhang mit Formen der Gewalt, denen ältere Frauen ausgesetzt sind, reichen von physischer und psychischer Gewalt durch Betreuungspersonen zu Hause und in den Einrichtungen, bis hin zu Stigmatisierung durch die Gesellschaft.
Laut Quellen aus der 16-Tage-Kampagne manifestiert sich strukturelle Gewalt u.a. in dem geringen Einkommen von Frauen im Vergleich zu Männern. Die sogenannte geschlechtsspezifische Rentenlücke in der Schweiz beträgt 37%. Frauen sind daher im Alter stärker von Armut betroffen. Dies trifft sie besonders nach einer Scheidung und das, obwohl sie oft ihr ganzes Leben der familiären Pflege und unbezahlten Unterstützungsarbeit gewidmet haben.
Marianne Högstedt, Präsidentin der „CFD – Die Feministische Friedensorganisation“ erwähnt ausserdem, dass Sexualität bei älteren Frauen häufig ein Tabu ist, das es für die Betroffenen noch schwieriger macht, offen über Gewalt und sexualisierte Gewalt zu sprechen. Stigmatisierte Gewalt ist z.B. jene, die Klischees über ältere Frauen wie das der „Hausfrau und guten Grossmutter“ aufrecht erhält oder die öffentliche Meinung über sexualisierte Schönheit dahningehend beeinflusst, dass diese ausschließlich mit der Jugend in Verbindung gebracht wird.
Bea Heim, Nationalrätin, Co-Präsidentin des Schweizer Seniorenrats und VASOS betont, dass diese Strukturen unbedingt geändert werden müssen und diesbezüglich ein nationaler Aktionsplan entwickelt werden sollte. Die Rechte innerhalb einer Gesellschaft sollten nicht nur für die Geschlechter, sondern auch für alle Altersgruppen gleich sein.
Risikofaktoren bei älteren Frauen
Laut IOM sind die Risikofaktoren diejenigen Merkmale oder Belastungen einer Person, die ihre Wahrscheinlichkeit erhöhen an einer Krankheit oder einer Verletzung zu leiden.
Ruth Mettler Ernst, Geschäftsleiterin der „Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter“ ist der Ansicht, dass die Angst aufgrund von körperlichen Beschwerden, Krankheiten oder Demenz dem Alter ausgeliefert zu sein, allgegenwärtig ist.
Laut einem Bericht der WHO Europa (2011) leiden 20% der über 60-Jährigen unter strukturellen, psychologischen, wirtschaftlichen, sexuellen, medizinischen und körperlichen Misshandlungen, die insgesamt als schwere Rechtsverletzungen zu werten sind.