Auch in der neuen Heimat bewahren die Träume ihre seltsamen Nester, von wo sie wie Vögel auf der Suche nach Sicherheit und Geborgenheit fliegen!
Das diesjährige kulturelle Treffen der „Heiteren Fahne“ war ein bedeutendes Kulturereignis in der Stadt Bern, welche zu meiner neuen Heimatstadt geworden ist. Dieses Treffen ermöglichte den kulturellen Austausch zwischen den verschiedenen Ethnien und Völkern, die in der schönen und alten Hauptstadt vertreten sind.
Die „Heitere Fahne“ bot die Bühne für die Präsentationen der vielen verschiedenen Völker und Kulturen. Unter den Anwesenden waren besonders auch zahlreiche Flüchtlingsgruppen aus unterschiedlichen Ländern vertreten.
Die grosse Anzahl von Teilnehmern hat mich vom ersten Moment an überrascht. Dies ist immer ein positiver Indikator für den Erfolg einer Veranstaltung! Die Anwesenden, darunter viele Asylsuchende, füllten den verfügbaren Raum und versuchten, das Schönste über ihre Kultur und ihre Traditionen, Geschenke, Küche und Handwerk zu zeigen. Der kulturelle Austausch war sehr rege. Die Teilnehmer wurden in Diskussionen, Chats, humorvolle Darbietungen und gegenseitiges Zuhören einbezogen. Sie bewunderten die vielfältigen Lieder und Volkstänze. Die Atmosphäre war heiter, offen und voller Hoffnung, so dass die längst verlorene Sicherheit langsam wieder einen Raum in der neuen Heimat finden konnte. Zu meinem Erstaunen kamen Worte wie „Freude, Geborgenheit und Glück“ wieder über meine Lippen!
Die Veranstaltung war sehr vielgestaltig, ansprechend und abwechslungsreich. Die Schweizer Besucher nutzten die Gelegenheit, um mit uns zu sprechen, ihre Ansichten auszutauschen und andere Kulturen kennenzulernen. Die Integration wurde dadurch auf grossartige Weise unterstützt und gefördert.
Eine traurige Störung ereignete sich unerwartet mitten beim Ausprobieren der Köstlichkeiten, begleitet von Musik und Volkstanz: Plötzlich und ohne Vorwarnung fiel eine junge schöne Frau bewusstlos zu Boden. Sie schien wie erstarrt zu sein. Man dachte, dass es sich hierbei um einen epileptischen Anfall handle und dass die arme Frau nur ihre Medikamente nehmen müsse, dass alles wieder in Ordnung wäre! Leider war die Ursache dieses Zusammenbruchs viel schmerzlicher!
Nicht eine Epilepsie, sondern schreckliche Erinnerungen waren der Grund. Die Musik, der Tanz und die fröhliche Stimmung liessen die schmerzlichen Erinnerungen wiederaufkommen: Als frisch verheiratetes Paar nahmen sie und ihr Mann an einer Hochzeitsfeier in einem benachbarten Dorf in Syrien teil, als eine Rakete die Hochzeitsfeier traf. Die junge Braut verlor ihren Mann und beide Füsse. Unter den Toten befanden sich mehrere Familienmitglieder. Die Lieder und der Tanz weckten die Erinnerungen an die Momente des Schicksals und die noch immer traumatisierte Frau fiel als Opfer ihrer zutiefst schmerzlichen Erlebnisse bewusstlos zu Boden.
Ironischerweise geschah dies bei einem Treffen, welches ein besseres Verständnis der Kulturen bezweckte. Das exotische Essen, die fremdländische Kleidung, der fröhliche Volkstanz und sogar das allgemeine Wissen über die Geschichte eines Volkes reichen nicht aus, um eine Kultur wirklich zu verstehen. Ein Einblick in die tiefste Trauer und den schlimmsten Schmerz eines Volkes ist für das Verständnis unerlässlich. Die Schweizer Besucher erhielten durch die flüchtige Begegnung mit unserem schrecklichen Leiden einen besseren Einblick in die Seelen unserer Menschen.
Die freundliche Anteilnahme an unserem Schicksal hilft uns, uns dessen bewusst zu werden. Die liebevollen Menschen, die mit uns ihr Leben und ihr kleines Land teilen, teilen auch unsere Leiden und machen dieses Land zu einer wahren zweiten Heimat; zu einem Balsam für unsere Wunden. Wir hoffen, den Schmerz der Vergangenheit überwinden zu können. Die vergangenen Erfahrungen sind immer noch in unsere Seelen eingeprägt wie eine dauerhafte pharaonische Gravur als Zeuge unserer Existenz und unseres Daseins.