[:de]Flucht vor dem unvermeidbaren Tod durch das Asad-Regime, Iran, Hezbollah, dem IS und Russland. Eine Flucht, um den Rest der Seele zu retten, für ein Leben, das vielleicht friedlicher sein würde, aber nicht glücklicher.
Syrische Frauen und ihre Kinder entkamen über das Meer ohne Furcht zu sinken, um ein Ziel zu erreichten, das sie nicht wählen konnten, aber zu welchem sie gezwungen waren – zum Wohl ihrer Liebsten.
Alles was sie in den Händen und in den Herzen trugen war ein Gebet, sodass sie heil an Land kämen, an einen Ort, der nicht leicht zu meistern wäre. Aber sie schafften es, zusammen mit den Leuten in Europa zu leben. Denn jemand, der den Raketen und Granaten standhielt, der wird nicht an einer Sprache scheitern, die eine andere ist als das Arabische. Aber der Tod lag nun nicht mehr auf der Lauer in Form der Kanonen Asad’s und nicht mehr in Form der russischen Flugzeuge, sondern in Form eines uralten, sozialen Messers, durch das im Laufe der Jahre schon Tausende von syrischen Frauen gemeuchelt wurden. Ein Messer, voller Hass und Groll gegen diese Frau, die entschieden hat, ein neues Leben zu beginnen mit einem Mann, den sie aus freien Stücken wählte, sodass sie ihre Kinder mit ihrem jetzigen Ehemann aufziehen könne. Jedoch gefiel dem Ex-Ehemann die Vorstellung überhaupt nicht, dass er nicht mehr erwünscht war.
Alles was er im Sinn hatte war es, die Utensilien für sein Verbrechen vorzubereiten und sich voller Bereitschaft und Entschlossenheit an sein Verbrechen zu machen. Und um nur Minuten danach sich auf seiner Facebook-Seite zum Verbrechen zu bekennen und beizufügen, dass er es vor den Augen der Kinder getan hätte. Dabei beschmutzte er den Ruf seines Opfers vor den Augen seiner Followers, stolz darauf, dass er seine Schande reingewaschen hatte und die Ehre seiner Religion wiederhergestellt hatte, damit schliessend, dass dies das Schicksal aller syrischen Frauen wäre.
Er bekannte sich dazu, seine Frau umgebracht zu haben, aber er sagte nicht, dass es seine Ex-Frau war.
Warum bekennt sich der orientalische Mann, der arabische und syrische Mann, nicht dazu, dass – auch wenn er ein Engel wäre – sie ihn nicht mehr aushalten würde. Ja, sie hält ihn nicht mehr aus, denn nach all der Ungerechtigkeit, die sie mit ihm in dieser verrotteten Gesellschaft durchmachen musste, hatte sie die Chance, ein Leben mit demjenigen Mann zu führen, den sie aus freien Stücken wählen konnte, auch wenn jener der Teufel in Person wäre. Sie hält das Paradies zusammen mit ihm nicht mehr aus, sondern sie sehnt sich nach der Hölle, die sie entweder alleine geniessen könnte oder mit jemandem anders.
Ja, sie hat nun das Recht, auszuwählen, das Recht, nein zu sagen, das Recht, die Kleidung zu tragen, die sie möchte und das Recht, zu lächeln – was in jenem Lande verboten war.
Es war ihr verboten, zu lächeln – nicht aus religiösen Gründen, sondern aus gesellschaftlichen Gründen: damit ihr nichts zustossen würde. Denn, wenn auch nur ein einziger Zahn zum Vorschein kommen würde, so wäre die Frau sofort von allen Seiten belagert, sogar von unter der Erde.
Marwan’s Mutter wurde getötet und dieses Verbrechen ist nicht selten und auch nicht neu. Es war ein Verbrechen an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit. Dieses Mal war es nicht in einem arabischen Land, sondern in Deutschland, wo das Opfer mit seinen Kindern und seinem jetzigen Ehemann lebte – geflüchtet vor dem Asad-Regime, nur um jetzt vom Stammessystem getötet zu werden.
Das Stammessystem ist ein vererbtes Verbrechen, gefährlicher als Krieg und Epidemie. Von der Tötung weiblicher Neugeborener zur Ermordung von Frauen, weil sie als Frauen geboren wurden. Nach dem Tod von Marwan’s Mutter (Umm Marwan) wurden die sozialen Medien von Kommentaren überflutet, die die Tat von Marwan’s Vater (Abu Marwan) unterstützten – Kommentare, die andere dazu ermutigten, ihre Schande reinzuwaschen, sobald sich die Frau ihre Lippen rot schminkt. Auch wurde der Name dieser Frau vonseiten vieler anderer Syrer beschmutzt, sei es von solchen, die in Deutschland leben, oder von solchen, die ausserhalb der EU leben. Sogar verhöhnten sie die Aussage des Nachbars, der sagte, dass sie eine Frau war, die mit ihren Kinder und ihrem Ehemann ein glückliches Leben führte, aber dass sie unter den Anschuldigungen ihres Ex-Ehemanns litt.
Eine Welle von Stammesapplaus also, und ein Orden, der an seine Social Media Seite geheftet wurden, anstatt an seine Brust. Sie trommelten und tröteten und sie vergassen, was aus den Kindern werden sollte. Denn auch die Kinder sind Opfer dieser verrosteten, sozialen Zwänge.
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