Dersim, eine Stadt in der Türkei. Vor vielen Jahren geschah dort Kindesmissbrauch durch einen Lehrer. Er sagte zu seinen SchülerInnen der 7. Klasse, dass er ein Faschist sei. Die SchülerInnen wussten noch nicht, was das Wort Faschist bedeutet.
Der Lehrer bemühte sich anscheinend sehr, den SchülerInnen näher zu kommen, auch ausserhalb des Unterrichts. So gab er freiwillig Nachhilfeunterricht für die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium und organisierte Filmvorführungen im Kinosaal der Schule. Vom Kinosaal brachte er eine seiner Schülerinnen in sein daneben liegendes Büro und misshandelte sie sexuell. Das Mädchen wurde später von einer Kollegin in dem dunklen Zimmer gefunden und rausgeholt.
Danach wollten die zwei Mädchen vergessen, was geschehen ist. Sie entschieden sich, am Unterricht dieses Lehrers nicht mehr teilzunehmen. Das fiel auf und die Schulpsychologin und eine andere Lehrerin führten Gespräche mit den betroffenen Mädchen und Zeugen, wie mit dem Hauswart, der ebenfalls Zeuge des Geschehens im Kinosaal war. Interessant ist das Verhalten des Hauswartes, der wohl merkte, was geschah, aber das 13-jährige Mädchen im Stich liess.
Nach diesen Gesprächen stellte sich heraus, dass auch andere Studentinnen von diesem Lehrer misshandelt wurden. Danach ging es vor Gericht. Er legte einen Eid ab, dass er die Wahrheit sagt. In seiner Verteidigungsrede behauptete er, dass er sich stets väterlich verhalten habe und sein gutmütiges Verhalten von den Schülerinnen missverstanden worden sei. Obwohl das Gericht seine Aussagen als nicht glaubhaft einstufte, fiel das Urteil wegen „ungenügender Beweismittel“ sehr milde aus: Er wurde nicht seines Berufes enthoben, sondern lediglich in eine andere Stadt befördert, die durch ihre faschistische Politik bekannt geworden ist.
Die Mädchen haben lange Zeit geschwiegen. Sie hatten Angst, dass sie selber beschuldigt werden. Denn niemand hat ihnen beigebracht, was gute und böse Berührungen sind, niemand hat ihnen beigebracht sich zu wehren, zu schreien, schreiend NEIN zu sagen.
Bern, eine Stadt in der Schweiz. Eine Frau erlaubte einem Freund, sie nach Hause zu begleiten. Er nahm dies als Anlass, seine Gefühle zu äussern, indem er sie küsste, ohne dass sie das gewollt hätte. Die Frau sagte Nein, doch er hörte nicht auf und vergewaltigte sie. Seine Maske als Freund fiel. Die Frau hatte Angst. Sie schämte sich lange, beschuldigte sich selber und schwieg.
Zwei Städte,
unterschiedliche Sprachen und Personen
unterschiedliche ethnische Zugehörigkeiten
Gemeinsam ist einerseits das Schweigen und das Gefühl der Angst und der Selbstverschuldung.
Andererseits ist der wesentliche gemeinsame Punkt die Maske des Patriarchats.
Trotz vielen Unterschieden ist das Frausein verbindend. Wie oft gesagt wird, sind die Frauen der Welt eine eigene Nation, die gegen das Patriarchat auf allen Ebenen des Lebens zu kämpfen haben.
In letzter Zeit bemühen sich viele Frauen, dieses Schweigen in den sozialen Medien zu brechen. In Kampagnen werden Stichworte verbreitet, um die sexuelle Gewalt sichtbar zu machen. Erzählungen von Frauen aus ihrem Leben zeigten deutlich auf, dass viele Frauen in ihrem Alltag von ihnen bekannten und/oder unbekannten Männern belästigt werden. Problematisch dabei ist, dass Frauen dies im realen Leben dauernd schweigsam erdulden und die Männer nicht zur Rechenschaft ziehen.
Die Frauenbewegung hat in den 80 und 90er Jahren erfolgreich eine Kampagne durchgeführt mit dem Motto “das Private ist politisch”. Sie hat die häusliche Gewalt in die Politik und an die Öffentlichkeit gebracht. Beruhend auf unserer Geschichte der Frauenbewegung sollten wir heute die Maske des Patriarchats mit verschiedenen Aktionen in den sozialen Medien und in den realen Räumen sichtbar machen. Wir sollten vor allem auch in unserem Alltag diese Maske erkennen, hinter der ein Freund, ein Vater, Geliebter oder ein Genosse stehen kann. Wichtig ist, dass wir Frauen zusammenkommen und nicht mehr schweigen.