Lucify führte ein Interview mit Salma Aimée Alaoui, einer der Organisatorinnen der „Fashion Revolution“ in Bern. Die Aktionswoche ist eine Austauschplattform für Aktivisten, Freiwilige, bewusste Konsumenten, Slow-Fashion-Designers und umweltfreundliche Labels.
Kannst du dich bitte vorstellen und erklären, wie du in der Fashion Industrie gelandet bist?
Ich heisse Salma, bin gebürtige Bernerin und habe zudem marokkanische Wurzeln. Es war immer mein Traum Modedesignerin zu werden; ich glaube, seit ich 4 Jahre alt war. Seit ich denken kann eigentlich. Und nun – mit 32 Jahren – bin ich endlich in der Modeindustrie gelandet.
Während meinem Modestudium an der Schweizerischen Textilfachschule in Zürich, merkte ich, dass die konventionelle Modeindustrie nicht meine Welt ist. Währenddessen bin ich lustigerweise in der IT gelandet und habe nun 9 Jahre in dieser Branche gearbeitet. Ich bin weiterhin an den unglaublichen Chancen und technischen Möglichkeiten der IT interessiert und werde auch in Zukunft in diesem Gebiet meine Schritte gehen.
In der Zwischenzeit entwickelte sich endlich die ganze Bewegung der nachhaltigen und fairen Mode. Ich absolvierte in meiner Freizeit Weiterbildungen auf diesem Spezialgebiet, sowie auch in der Produktentwicklung und recherchierte viel. Seit ein paar Jahren interessieren sich auch die Konsumenten für nachhaltige Mode und möchten mehr Auswahl haben. Das war der Moment, in dem ich merkte: jetzt ist die Chance da, jetzt muss ich anpacken und versuchen, meine eigene nachhaltige Kollektion rauszubringen.
Dein Startup heisst «Terrebelle» – was für eine symbolische Bedeutung steht dahinter?
«Terrebelle» kommt von dem Ausdruck «Enfant terrible», den man eigentlich weltweit kennt. Ich glaube auch auf Englisch. Der Ausdruck hat aber einen französischen Ursprung. «Enfant terrible» bedeutet nicht unbedingt Aussenseiter/in, aber ist eine Bezeichnung für diejenigen, die alles anders machen. Die, die etwas bewegen, Bohemiens, also Künstler/innen, Rebellen, Leute, die sich kreativ einsetzen für gute Bewegungen. Eine Person also, die sich provokant über geltende Konventionen hinwegsetzt und damit oft aneckt oder sogar schockiert, möglicherweise aber auch als Draufgänger/in bewundert wird, Neues versucht und so zum Fortschritt zwingt. Deswegen auch die Endung auf «Rebelle». Gleichzeitig, beinhaltet «Terrebelle» auch noch «Terre Belle“ was auf Französisch «schöne Erde» heisst und die nachhaltigen Aspekte des Labels gut repräsentiert.
Welche konkreten nachhaltigen Schritte macht «Terrebelle»?
Ich versuche vom Anfang bis zum Schluss die ganze «Supply Chain» oder Lieferkette nachhaltig zu gestalten. Das fängt schon beim Design an: ein paar Modelle werden ein «Zero Waste» Design haben. Das heisst, dass das Schnittmuster so konstruiert wird, dass es beim Zuschnitt des Schnittlagenbildes keine Stoffreste gibt. Beim Design gilt es auch zu bedenken, ob die benötigten Materialien (Reissverschlüsse, Knöpfe, Einlagen, Kordeln, usw) nachhaltig und fair erhältlich sind. Beim Materialeinkauf lege ich grossen Wert darauf, dass alle Bestandteile eines Kleidungstücks nachhaltig sind. Ich werde, sofern möglich, nur zertifizierte Rohmaterialien einkaufen. Mein Label selbst wird jedoch anfangs nicht zertifiziert sein, weil dies eher teuer ist.
Der nächste wichtige Punkt in einer Lieferkette ist der geographische Standort der Produzenten, und wie man sicher gehen kann, dass die Arbeitsbedingungen fair sind. Ich werde vor allem mit Fabriken in Europa zusammenarbeiten, um die Transportwege der Materialien und Kleidung kurz zu halten und auch damit ich die Fabriken selbst besuchen kann, ohne einen grossen CO2-Fussabdruck zu verursachen. Vor Ort will ich überprüfen, dass es den Arbeitern wirklich gut geht und die Fabrik alle Prozesse ihrer Zertifizierung konform einhält. Dies sind die Hauptpunkte.
Apropos nachhaltiges Leben und Ökologie: was ist deine Meinung über den Klimastreik?
Eine Bewegung wie den Klimastreik habe ich mir schon seit langem gewünscht. Es wäre schon in meiner Schulzeit nötig gewesen, aber dort war es noch nicht vielen bewusst. Ich unterstütze die Streiks der Schüler/innen vollkommen. Sie sollen ruhig jeden Freitag auf die Strasse, höchstwahrscheinlich lernen sie dort wichtigeres als in der Schule; Sozialkompetenz, Umweltschutz und wie man in dieser Welt gemeinsam etwas bewegt, zum Beispiel. Wir, die älteren Generationen, sollten es auch unterstützen, ab und zu auch die Arbeit streiken, denn es ist nicht mehr 5 vor 12, sondern … Ich bin keine Wissenschaftlerin. Experten müssten uns sagen, wieviel Zeit wir noch haben, um zu ändern, was uns bevorsteht. Wir müssen die Jugend unbedingt unterstützen.
Also ich bin ein großer Fan der Bewegung, hoffe jedoch auch, dass die Teilnehmer/innen an diesen Streiks auch wirklich versuchen, nachhaltig zu leben. Streiken allein ändert nichts, jede/r Einzelne muss sein/ihr Leben und seinen/ihren Konsum anpassen, um wirklich was zu bewegen und sich bewusst sein, dass er/sie mit jedem getätigten Kauf über seine/ihre Zukunft abstimmt.
Du bist City Coordinator der «Fashion Revolution Week», welche im April in Bern stattfindet. Was unterscheidet diesen Event von traditionellen Fashion-Shows?
Die «Fashion Revolution» ist nicht nur eine Fashion-Show, es ist eine Bewegung, die es seit dem Unglück in Rana Plaza in Bangladesch (24. April 2013) gibt. Damals stürzte ein neunstöckiges Gebäude zusammen, welches fünf Textilfabriken beherbergte. Dabei wurden 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt. In London entstand die Bewegung.
Seit 4 Jahren gibt es einen grossen Event in Zürich und dieses Jahr in zahlreichen weiteren Städten. Nachdem es in den letzten Jahren in Bern verschiedene unabhängige Aktionen in der FRW gab, findet diese 2019 das erste Mal im grossen Rahmen statt.
Die Fashion Revolutionsetzt sich dafür ein die Arbeitsbedingungen in der Industrie zu verbessern, so ist auch der «Bangladesh Accord» entstanden. Ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, welches die Fabriken überprüft, revisiert und die Aktionspläne zur Arbeitssicherheit definiert und auch mahnt. Leider steht dieses momentan auf der Kippe.
Die Fashion Revolution Week selbst ist dafür da, die Konsumenten darüber zu informieren, welche unmenschlichen Bedingungen in der Industrie herrschen und welche Alternativen und Möglichkeiten sie haben, um nachhaltig und fair einzukaufen, oder selbst Kleider zu reparieren, Upcycling zu lernen: «Wie mache ich die alten Jeans nochmal schön, so dass ich die wieder tragen kann?»
Wir haben ganz verschiedene Events. Am Dienstag zum Beispiel einen Expertenmarkt, bei welchem man mit Experten reden, Fragen stellen oder sich allgemein informieren kann. Mittwochs zeigen wir «The True Cost», eine brisante Filmdokumentation über die Hintergründe der Modeindustrie mit anschliessender Podiumsdiskussion. Eine Vernissage zur ganzwöchigen Fotoausstellung, einen Kleidertausch und verschiedene Workshops werden am Donnerstag angeboten. Ein Zero-Waste Design Workshop, den ganzen Abend lang einen Stickerei-Workshop, und einen «Capsule Wardrobe» Workshop. «Capsule Wardrobe» bedeutet: eine minimale Garderobe mit wenigen Kleidungsstücken, welche sich gut kombinieren lassen, um somit vom Massenkonsum fernzubleiben und sich zu fragen, welche Kleidungsstücke sind essentiell um meine Garderobe up-to-date zu halten, so dass ich mit diesen Stücken immer wieder schön angezogen sein kann.
Freitags gibt es zuerst einen Talk im «The New New Bern» dem neuen Secondhand-Laden von Greis und Manillio, bei welchem die beiden mit Jamil Mokthar (von der Fashion Revolution Schweiz) diskutieren. Jamil organisiert die Fashion Revolution Week Bern mit mir gemeinsam. Danach findet die Fashion Performance & Party im City Pub Bern statt. Ein Event, der den ganzen Abend ausfüllen wird und bis in die Nacht andauert. Die Berner Labels, welche sich für die nachhaltige und faire Produktion von Mode einsetzen, werden gefeiert, und mit ihnen die Berner Nachtschwärmer. Die positiven Seiten des Wandels, den unsere Gesellschaft momentan durchmacht, sollen auch hervorgehoben werden. Wir wollen nicht nur auf die negativen Aspekte aufmerksam machen.
Am Samstag findet dann der Fair Fashion Pop-Up-Märit mit nachhaltigen Berner Labels im City Pub statt. Gleichzeitig im innovativen Nähwerk IDM in Thun – an der Textilen Fachschule – wird ein Upcycling-Workshop abgehalten, geleitet von Andrea Gerber. Das Nähwerk IDM hat ein richtungsweisendes Konzept und nimmt für Schweizer Label auch nachhaltige Produktionen an und setzt diese um.
In der Wirkerei bei der Alten Feuerwehr Viktoria finden über die ganze Woche verteilt verschiedene Workshops statt, um der eigenen Garderobe neues Leben einzuhauchen.
Die Bewegung ist unglaublich gewachsen. Wir haben viele aktive Leute, die mitmachen und sich interessieren. Wir sind begeistert! Es ist unglaublich, wie gross der Event nun ausfällt und wieviel Unterstützung wir erhalten. Wir hoffen auf viele Besucher.