„Homo sum, humani nihil a me alienum puto.“ „Ich bin ein Mensch und ich glaube, dass nichts Menschliches mir fremd ist“. Terence, Romanautor
Die menschliche Gesellschaft würde Schreckenstaten durch lebenlange Haft oder Hinrichtung bestrafen, im Film aber werden die Verurteilten stattdessen in den Weltraum geschickt. Als Argument dafür wurde ein wissenschaftliches Experiment angeführt. In einer Welt der Scheinheiligkeit, wo die Euphorie über das Recycling ein heuchlerischer Trost für Massenproduktion- und Konsum ist, hat sich das Prinzip des Überschusses auf die menschliche Spezies ausgeweitet. Einige Politiker und wahnsinnige Machthungrige haben deshalb eine geniale Idee diesen „menschlichen Überschuss“ loszuwerden, obwohl sie unglücklicherweise viel zu weit weg von den gewöhnlichen Menschen und ihren unendlichen Möglichkeiten leben.
In einem Raumschiff das still dahingleitet sehnen sich zu Astronauten gemachte Gefangene nach jeglicher Form des Menschlichen. Vor allem nach Nähe und Intimität. Abhängig von Chemikalien und zu einem mittellosen Leben gezwungen, wird jeder von ihnen in bösartiger Weise von seinen Trieben gesteuert.
Der Autor zeigt die schrittweise Entwicklung eines Mannes zu einer wilden Bestie, weil er dazu gezwungen wurde, seine Instinkte kontinuierlich zu unterdrücken. Der Mangel an Wissen über den Umgang mit seinen gesteigerten sexuellen Bedürfnisse belastet ihn so, dass er schliesslich aggressiv wie ein wütendes Tier wird. Indem die Regisseurin das Motiv der körperlichen Regulation beständig wiederholt, malt sie ein Bild einer strikt determinierten Sex-Welt und der Sphäre die hindurchschimmert, wann immer wir an der Oberfläche zu kratzen beginnen.
Die einzigartige Szene von Dr.Dibs (Juliette Binoche), wie sie auf einem „Sexmaschine-Bullen“ reitet, genauso wie ihr Monolog mit dem verträumten Monte (Robert Pattinson) basieren auf dem breiten Wissen der Autorin über den Reichtum, sowohl der weiblichen als auch der männlichen Sexualität. Die Nähe zwischen dem Vater und seiner künstlich gezeugten Tochter, die im Weltraum geboren wurde und inhaltsmässig den Rahmen des Films vorgibt, bringt menschliche Wärme in dieses eigenartige Schicksal der Insassen. Die Rahmengeschichte zeigt eindrücklich die Reife der Autorin, als Mensch ebenso wie als Filmdirektorin und Künstlerin.
Ich bewundere den Weg wie Denise menschliche Bedürfnisse, Zerbrechlichkeit, Stärke und Sexualität darstellt, ebenso die gesamte Situation, in die sie als Filmdirektorin ihre Charaktere platziert. Der Film folgt in perfekter Weise einer Abfolge brillianter Momentaufnahmen und es ist spürbar, dass ein Mensch der diese Art von Kunstwerk in einem solch übermächtigen Themenbereich designt und umgesetzt hat, eine tiefgründige mentale Reife und Erfahrung besitzt. Ebenso stellt die Regisseurin mit ihrer Filmproduktion ihre prophetische Seite unter Beweis.
Durch die Gewissheit des Films führt ein Leitmotiv hindurch, dass für die Raumschiff-Insassen etwas völlig anderes bedeutet als in unseren weltlichen Gegebenheiten. Das Bedürnis nach Geborgenheit ist jedem menschlichen Wesen angeboren und die Unsicherheit des Lebens in einem Raumschiff ist lediglich einer der Trigger für die schrecklichen Reaktionen seiner Insassen. Sie leben in einer Schuhschachtel im Universum und diese symbolisiert für uns das Bild unserer täglichen Schubladen der Ambivalenzen, in die wir sehr oft gesteckt werden. Es ist nur natürlich, dass Menschen früher oder später in solchen Umständen aggressiv und verrückt werden. Das Originalskript, das von Stuart A. Staples entwickelt und 2018 auf dem Ghent Film Festival ausgezeichnet wurde, vervollständigt in perfekter Weise die Linie der Zweideutigkeit einer Raumschiffreise von der Tiefe an die Oberfläche.
Lange Bildsequenzen, aufgenommen mit einer statischen Kamera geben uns das Gefühl die Tiefe einer Geschichte zu empfinden, die nicht am Ende des Filmes aufhört, sondern sich bis in den gegenwärtigen Moment hinein fortsetzt. Trotz der beunruhigenden Bilder von Gewalt, bleibt dem Zuschauer genug Raum um Liebe und Vertrauen zu fühlen. Es wird dabei hervorgehoben, dass wir viel Sorgfalt investieren müssen, um auch diese positiven Gefühle erfolgreich auszubilden. Das Raumschiff mit seiner rechteckigen Form beschreibt genau den begrenzten mentalen
Raum, innerhalb dem sich die Gefangenen bewegen müssen, während es innerhalb des Raumschiffs so etwas wie einen surrealen „Garten der Hoffnung“ gibt. Indem die utopischen mit den desillusionierenden Bildern kombiniert werden, verbindet Denise das Unvereinbare miteinander und berührt damit den Bereich der erzwungenen Absurdität unseres täglichen Lebens im Zeitalter des Kali Yuga.
Wird dies alles verursacht durch das Kali Yuga (entsprechend den hinduistischen Schriften gilt das Kali Yuga als Zeitalter des Leidens vor der Apokalypse), worauf der Autor hinaus will…welche Art Experiment könnte diese Theorie belegen?
Wie auch immer : Die unsinnige Idee, Menschen die als unbrauchbar aussortiert wurden zur Entdeckung des Universums zu verdammen, sich gegenseitig in dieser Raumschiff-Ödnis zu töten, die Sklaven ihrer eigenen Einschränkungen zu werden und den Manipulationen der anderen „hinter den geschlossenen Türen“ zu erliegen, ist eine gute Beschreibung einer weiteren Perversion unserer modernen Zivilisation in einer „Zeit des Kampfes und der Scheinheiligkeit“.