Waldbrände in Dersim durch das türkische Militär

In den vergangenen Jahren bemühten sich der Staatspräsident Erdogan und die damals mit ihm verbündete Fethullah Gülen Bewegung (Cemaat), die Wählerschaft der Stadt Dersim für sich zu gewinnen. Sie versuchten, die Studierenden mit den gratis Vorbereitungsinternaten für die Universität der Cemaat anzuziehen. Sie versuchten, die Bevölkerung von Dersim zu kaufen, indem sie im grossen Stil Lebensmittel und Waschmaschinen verschenkten. Erdogan hat sogar das bisherige Tabu gebrochen, über das im Jahr 1938 stattgefundene Massaker in Dersim zu sprechen. Er argumentierte mit dem Massaker, um die CHP (Republikanische Volkspartei) zu schwächen, denn dieses Massaker wurde unter der Führung von Kemal Atatürk und seiner Partei CHP verübt. So war das Thema für Erdogan bloss ein Instrument, den politischen Gegner zu schwächen. In seiner Rede hat er zum ersten Mal die staatlichen Dokumente über dieses Massaker veröffentlicht.

Die Menschen aus Dersim fordern schon lange den Zugang zum staatlichen Archiv, die Bekanntgabe der Gräber von Hingerichteten und die Informationen über die verlorenen Töchter, die bei Familien türkischer Militärs platziert worden waren. Erdogan berücksichtigte in seiner Rede zum Thema weder das Trauma, noch die Forderungen der Menschen aus Dersim. Deshalb war es vergeblich, denn die Menschen aus Dersim merkten, dass es Erdogan nur um Propaganda geht und sie wählten trotzdem bei den lokalen und nationalen Wahlen links und prokurdisch. Die Provinz Dersim bleibt weiterhin ein Symbol des Widerstandes gegen Erdogan und seiner Partei AKP.

Erdogan merkte, dass er Dersim mit solcher Propaganda und Almosenpolitik nicht gewinnen kann. Deshalb veränderte er seine politische Strategie von der Verteilung von Lebensmitteln und Haushaltsmaschinen hin zu staatlicher Repression. Im Alltag zeigt sich diese bei der Stellensuche, bei der Nichtmitglieder der AKP benachteiligt werden. Besonders aber zeigt sie sich an den Einsätzen der türkischen Armee, die nicht nur auf die Zerstörung der Guerillas, sondern auch auf die Unterdrückung der Zivilbevölkerung in Dersim abzielen. So sind in letzter Zeit verschiedene Verbrechen geschehen und straflos geblieben. Im September 2016 hat ein Soldat eine alte Frau überfahren. 2017 wurde ein Mann von Bomben aus der Luft getötet, das gleiche passierte im Juni einem picknickendend Paar. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Umwelt sind vom Krieg betroffen, letztes Jahr gab es grosse Waldbrände infolge der Bombardements aus der Luft.

Der Alltag in Dersim heisst seit 2016 offiziell Ausnahmezustand (OHAL). Seither sind Verbrechen des Staates an Menschen und Umwelt in Dersim legal.

Seit drei Wochen gibt es in Dersim wieder Waldbrände aufgrund militärischer Angriffe. Trotz der dadurch entstandenen grossen Gefahr für Mensch und Umwelt, griffen die staatlichen Organisationen und Behörden nicht ein. Die Menschen in Dersim versuchen, die Brände selbst zu löschen, werden jedoch vom Militär daran gehindert. Nachdem viele Proteste stattfanden und Fotos in sozialen Medien verbreitet wurden, gab das Gouverneursamt eine Medienmitteilung heraus, in der es die Waldbrände leugnete. Daraufhin verbreiteten viele Bewohner Videoaufnahmen in sozialen Medien, wie Freiwillige die Brände ohne Bewilligung durch die Armee bekämpfen, darunter sind auch der bekannte Sänger Ferhat Tunc und der Umweltaktivist Haydar Cetinkaya.

Die Waldbrände durch das türkische Militär in Dersim sind nichts Neues. Auch letztes Jahr wurden Wälder durch Bomben aus der Luft in Brand gesetzt. Eine Videoaufnahme von einer militärischen Einheit zeigte, dass die Wälder absichtlich in Brand gesetzt wurden. Im Video zeigt ein türkischer Soldat auf einen Berg in Flammen und sagt: “Dieser Berg ist der letzte, den wir in Brand gesetzt haben.“ Stolz sagte er: “Wir sind hier für unsere Heimat.” Seine Heimatliebe ist verknüpft mit Hass. Die Heimatliebe verwandelt sich in diesem Kontext in eine Feindschaft gegen Mitmenschen und Umwelt. So zerstören Soldaten aus Heimatliebe die Umwelt in Dersim ohne zu überlegen, dass auch sie ein Teil der Natur sind.

Die Waldbrände in kurdischen Gebieten und der Bau von Staudämmen sind systematische Mittel der türkischen Politik, welche die Natur aus dem Gleichgewicht bringt und die Identität der Menschen dort indirekt zerstört und sie zur Auswanderung zwingt.

Die türkische Regierung unter der Macht von Erdogan befielt, alles zu zerstören und zu verbrennen, was nicht auf ihrer Seite ist. Es können Menschen, Tiere oder historische Orte sein, das spielt keine Rolle. Alles wird zerstört wie in Cizre, Silopi, Nusaybin und Sur6 in der Türkei, aber auch ausserhalb der Türkei in Afrin, Shengal, den Kantonen der kurdisch autonomen Selbstverwaltung in Rojava.

Heimatliebe und Hass sind in der Türkei zwei Seiten einer Medaille – einer Ideologie des Staates, welche zur Entmenschlichung führt.

Dieser Beitrag ist erstmals auf der Facebook-Plattform „Solidarität mit Afrin“ am 25. August erschienen.

Über Sevda

Sevdas Engagement in den Medien hat in der Türkei in den unabhängigen kurdischen Blog Demokrathaber angefangen. Sie finde es sehr wichtig, am sozialen und politischen Geschehen teilzunehmen und denkt, dass die Medien dabei eine grosse Rolle spielen. "Mich beschäftigen die Fragen: geben die Medien an kritische Stimmen Platz, werden die Andersdenkende in den Medien sichtbar? In den Mainstream-Medien ist nur die Stimme der Mächtigen zu hören, welche Ressourcen besitzen und die Problemdeutung aus ihrer Sicht definieren. Deshalb sind unabhängige Medien wie Atmem notwendig, um die Meinungsfreiheit und die Meinungen der gesellschaftlich Schwächen Gruppierungen zu repräsentieren. Meine Artikel beziehen sich auf die Probleme der Unsichtbaren und auf die Kritik des herrschenden Klassen-, Geschlechterverhältnisse so wie nationalstaatlichen Verordnungen gegenüber Asylsuchende."

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