Zusammenhalten gegen Gewalt an Frauen

„Wege aus der Gewalt“ ist das Thema der Kampagne 2024 gegen Gewalt an Frauen, ein Thema, das leider aktueller denn je ist. Die Zahlen zu Femiziden und geschlechtsspezifischer Gewalt sind in der Schweiz und weltweit nach wie vor besorgniserregend. Am Samstag, 23. November, gingen 10’000 Menschen in Bern auf die Strasse, um bei der Auftaktdemonstration für die 16 Tage gegen Gewalt ein Zeichen zu setzen. Am Ende des Umzugs erklangen die Trommeln einer kurdischen Gruppe. Sie trugen Bilder von ermordete oder gefangene Frauen. Wir haben mit zwei kurdischen Demonstrierenden gesprochen und ihre grenzübergreifende Perspektive eingefangen.

Sheno Rahimi mit einem Bild der Aktivistin von Pakhshan Azizi

Lucify.ch: Warum demonstrieren Sie heute?

Sheno Rahimi: Wir demonstrieren heute gegen Gewalt an Frauen und wir demonstrieren auch als Kurden. Die Kurden sind leider staatenlos im Iran, im Irak, in Syrien. Wir kurdischen Frauen sind doppelt betroffen, als Staatlose und als Frauen. Wir protestieren heute auch besonders für zwei Aktivistinnen im Iran, die leider zur Hinrichtung verurteilt sind.

Wir dürfen im Iran, in Syrien und in der Türkei nicht kurdisch sprechen oder unsere Kultur zeigen. Wir sind zum Beispiel nicht so religiös, wie es der Iran und der Irak von uns erwarten. Kurden sind von Geburt an politische Menschen, nur weil sie Kurden sind. Deshalb sind so viele Familien gegen die Regierung.

Lucify.ch: Welche Rolle spielen Frauen im kurdischen Widerstand?

Es gibt viele Frauen in der Partei. Jetzt haben wir zwei Aktivistinnen, Mrisha Moradi und Pakhshan Azizi, sie haben sich in Rojava gegen ISIS eingesetzt und sind dann in den Iran gegangen. Dort wurden sie verhaftet und zur Hinrichtung verurteilt. Wir fordern jetzt, dass dieses Urteil aufgehoben wird.

Lucify.ch: Was verbindet eure Bewegung mit der Kampagne gegen Gewalt an Frauen?

Sheno Rahimi: Wir sind alle Frauen, wir sind alle von Gewalt betroffen. Wir haben alle Probleme. Wir sind Migrantinnen hier in der Schweiz und wir verbinden die Geschichte unserer Länder mit der Schweiz. Leider haben Frauen auf der ganzen Welt Probleme mit Gewalt und wir müssen alle daran arbeiten.

Ich denke, dass wir immer stark bleiben müssen. Wir kämpfen für unsere Rechte, gegen Gewalt in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Stadt und auf der ganzen Welt. Gegen sexuelle Belästigung und politische Belästigung, die wir immer spüren und immer bekommen. Wie die der Regierungen des Iran, der Türkei, Syriens und des Irak. Wir bleiben dran und kämpfen für unsere Rechte.

Midia Piroti mit dem Slogan der kurdischen Partei PKK „Jin, Jîyan, Azadî„.

Lucify.ch: Warum demonstrieren Sie heute?

Midia Piroti: Wir sind heute hier, um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Und um die Solidarität der Frauen zu bekräftigen. Ob kurdische Frauen oder Schweizer Frauen, egal aus welcher Nation, wir halten zusammen.

Lucify.ch: Wie sieht es in der Türkei mit der Gewalt gegen Frauen aus?

Midia Piroti: In der Türkei ist die Demokratie nur eine Fassade. Ganz aktuell wollen sie die Abtreibung verbieten. Eigentlich ist es das Recht jeder Frau, über ihren Körper zu bestimmen. Keine Regierung sollte entscheiden, ob diese Frau abtreiben darf oder nicht. In der Türkei haben wir Demokratie, wir haben Parteien. Aber dort wird man, wenn man Kurdisch spricht, weil man Kurde ist, ohne einen Grund und ohne ein entsprechendes Gesetz ins Gefängnis gesteckt.
Wir haben hunderte von Frauen in der Geschichte, die, nur weil sie Frauen und Kurdinnen waren, entweder ihr Leben verloren haben oder jahrelang im Gefängnis waren. Das beste Beispiel ist Leyla Zana, die jahrzehntelang im Gefängnis war, nur weil sie im türkischen Parlament Kurdisch gesprochen hat. Deshalb ist die Türkei kein demokratisches Land, auch wenn sie es dem Westen so zeigt, auch wenn sie ein NATO-Staat ist. Solche Staaten, die Mitglieder des Westens sind, sollten sich am meisten um die Rechte der Frauen kümmern.

Lucify.ch: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser Aktion hier und dem, was in der Welt passiert?

Midia Piroti: Ich denke, dass die Frauenbewegung nicht nur in der Türkei und der Schweiz verbunden ist, sondern auf der ganzen Welt. Die Männer und das Patriarchat, was man als Mann erlebt, ist die Unterdrückung der Frauen. Und heute sind die Frauen nicht mehr leise, sie sind laut. 10.000 Menschen sind heute auf diesem Platz, vor allem Frauen, die gegen dieses System arbeiten wollen. Die Männer fühlen sich zum Teil angegriffen, dabei kämpfen wir nur für unsere Grundrechte: Gleichheit, gleiche Löhne, gleiche Stellung in der Gesellschaft, über unseren Körper selbst bestimmen zu können. Wenn man darüber spricht und diskutiert, merkt man, dass es ganz einfache Rechte sind, die Männer automatisch bekommen. Dieses System, die Unterdrückung der Frau, ist das Werk von Männern, egal ob mit religiösem oder zivilem Hintergrund.

Die Frauenbewegung ist auf der ganzen Welt präsent. Es braucht eine Revolution der Frauen auf dieser Welt, damit wir endlich aus diesem System herauskommen. Ich denke, es ist egal, wo wir sind. Wir sind heute hier als Kurdinnen und als Schweizerinnen. Wir demonstrieren auch gegen die Unterdrückung der kurdischen Frauen in Kurdistan, im Iran, wo ihre Stimme eine Bedrohung für das System ist.

Das System sieht diese Frauen als Bedrohung, aber auch hier in der Schweiz, in Europa, im Westen, denke ich, dass die kapitalistische Macht die Frauen als eine Stimme der Gefahr sieht. Es gibt also eine starke Verbindung zwischen hier und dort.

Die Präventionskampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» findet vom 25. November bis 10. Dezember statt. Während der 16 Aktionstage wird geschlechtsspezifische Gewalt in Podiumsdiskussionen, Theatern, Selbstverteidigungskursen, Workshops oder Strassenaktionen schweizweit thematisiert. Auf der offiziellen Website https://www.16tage.ch/veranstaltungskalender ist eine Liste aller Veranstaltungen zu finden.

Über Perla Ciommi

Perla ist Film- und Kulturwissenschaftlerin. Ihre Leidenschaft für die Filmproduktion begann 2000 in Bologna, Italien mit einem Videokurs. Als sie ein Jahr später einen Dokumentarfilm in Indien drehte, entschied sie für sich, dass dies ihr Weg sein wird. Seitdem dokumentierte sie mit ihrer Kamera unter anderem die Häuserbesetzerszene in Paris, die Community des Radio RaBe in Bern, die Lindy-Hop-Szene in der Schweiz und die politische Partizipation von Migrantinnen in der Schweiz. Nach einer Weiterbildung in Kommunikation hat sie sich auch dem Journalismus und der Kreation von Webinhalten gewidmet.

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