“Wenn ich schreibe fühle ich mich gut, denn es ist die perfekte Medizin, mit dem Schmerz umzugehen, den mir das Leben zugefügt hat. Viele Male schon habe ich geschrieben und dann das Papier zerissen und in den Müll geworfen. Viele Male habe ich sie irgendwo im Keller aufbewahrt. In der Dunkelheit las ich für Ihn. Er ist mein einziges Publikum. Keine Notwendigkeit für das Licht. Ich kenne sein Gesicht sehr gut. Er spricht nicht, aber Er hört zu. Ich weiss, dass Er den Text letzte Nacht gemocht hat, aber Er war ärgerlich darüber, dass Er so kurz war. Ich versprach Ihm, dass ich Ihm diese Nacht einen langen erzählen werde.
Aus: «Die Liebe im Militärrat», Zaher Al Jamous
Auf der Bühne waren drei Stühle und drei Mikrofone. An der linken Seite der Bühne war der Ort für die Musik Band. Auch wir sassen auf unseren Stühlen. Tabea Steiner nahm das Mikrofon, begrüsste das Publikum und stellte uns vor. Die Musik begann zu spielen und mein Herz schlug laut. Ich versuchte, mein Herz zu beruhigen, aber das war sehr schwierig. Zum Glück war ich nicht die Erste, die vorlas. Maya begann. Maya las einige Seiten von ihrer Geschichte «Der verlorene Spiegel der Seele». Danach erklang erneut Musik. Dieses Mal folgte mein Herz dem Rhythmus und begann, zu tanzen. Und bald schon stoppte die Musik. Oh, nun war ich an der Reihe. Ich stand auf und ging direkt zum Mikrofon. Ich wollte noch ein paar Dinge sagen, aber ich konnte nicht. Ich fand es schon genug zu sagen, dass ich gerade das erste Mal auf Deutsch etwas vorlas. Ich wollte sagen, dass ich normalerweise mit einer Menge Menschen spreche und das ich nun zum ersten Mal vor einer Menge Menschen etwas vorlese. In diesem Moment entschied ich mir vorzustellen, dass ich Ihm in der Dunkelheit etwas vorlese. Ich sah Ihn unter der Menschenmenge und begann, meinen ersten Satz zu lesen. Am Ende unserer Lesung klatschte Er für uns drei.
Einige Impressionen von unserer Vorlesung auf Literaare.ch seht ihr im folgenden Video.
Es war schön, auf der Bühne zu stehen, unsere Texte zu teilen und das positive Feedback des Publikums zu erleben. Hinter der Bühne haben wir auch die Schwierigkeiten geteilt, die wir als Schriftsteller*innen in einem fremden Land haben. Nach der Leseveranstaltung im Rathaus in Thun, hatten wir auch die Gelegenheit, für die Radiosendung „bi aller liebi“, den offiziellen Medienpartner des Festivals, ein Interview zu geben.
In diesem Interview sagte Maya:
«Für mich ist es nicht leicht zu schreiben, da ich in einer Pflegeheim arbeiten muss. Zaher schreibt nur nachts, wenn ihre drei Kinder im Bett sind und Anna zweifelt an ihrem Buch. Es ist schwierig, in einem fremden Land zu leben. Du musst dann nicht nur für dein Leben, sondern auch für deine Identität kämpfen».
Maya Taneva, im Interview für „bi aller liebi“
Anna hat ihr erstes Buch in Englisch «Helen the Man» während des Lockdowns 2020 geschrieben. Der Einfall zum Buch kam durch die Corona Pandemie. «Helen the Man» inspirierte Anna, ihr zweites Buch «Noras Kleines Corona Alphabet» zu schreiben. Dieses zweite Buch stürzte Anna in Zweifel. Anna erlebte Schwierigkeiten wegen der Übersetzung. Anna sagte gegenüber Sendung «bi aller liebi»:
«Nachdem die erste Geschichte «Helen the Man» fertig war, entschied ich, einen neuen Roman zu schreiben, diesmal in deutscher Sprache. Ich begann, nach einem Verlag zu suchen, der daran interessiert ist, mich zu unterstützen. Unglücklicherweise erhielt ich viele Absagen. Ich begriff, dass der einzige Weg, mich für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen war, mich für ein Programm der «Edition Unik» zu registrieren. Dort wurde eine Reihe von Schreibworkshops, mit einer Garantie für die Veröffentlichung einiger Texte des daraus entstehenden Buches angeboten. Diese Garantie galt jedoch nur für zwei Kapitel des Buches. Für weitere musste ich bezahlen. So bezahlte ich schliesslich für den Kurs, ich bezahlte für die Veröffentlichung weiterer Texte und ich bezahlte Übersetzer und Korrektor. Immernoch habe ich Zweifel und kann mein Buch nicht verkaufen, da der Preis für die Nachbestellung viel höher wäre, als der adäquate Verkaufspreis. Schliesslich gab ich ein kostenloses Buchexemplar als Geschenk an die Kornhaus Bibliothek Bern. Das ist der einzige faire und angemessene Weg, mein Buch sichtbar zu machen und vielen Menschen zur Verfügung zu stellen».
Anna Butan, im Interview für „bi aller liebi“
Nachdem wir in die Schweiz gezogen sind, haben wir, als Autor*innen mit Migrationshintergrund, viele Schwierigkeiten mit unserem kreativen Schreiben weiterzumachen. Diese Schwierigkeiten schaffen viele existenzielle Probleme für uns. Aber den teuersten Preis zahlt die Kunst selbst, weil sie keine Chance auf eine vollständige Verwirklichung findet.
Deshalb möchte ich Sie als Leser*innen zum Schluss einladen, sich einige Fragen zu überlegen. Sie sympathisieren mit den Charakteren und Helden aus den Büchern und Sie interessieren sich für die „Happy Ends“. Aber haben Sie dem Autor jemals Aufmerksamkeit geschenkt?
- Unter welchen physischen Umständen (wie Zeit und Ort) wurde die Geschichte geschrieben?
- Fühlt sich der Autor glücklich und erfüllt, nachdem er seine Schreibarbeit beendet hat?
- War der Schreibprozess für sie/ihn leicht?
- War es einfach, Zeit zu finden?
- War es leicht, einen Verlag zu finden?
- Wie hat sie/er das Geld für die Veröffentlichung bekommen?
- Wie kann sie/er das Buch präsentieren?
- Was ist mit der Übersetzung?
- Wo kann sie/er Unterstützung finden?
Mit diesen Fragen gebe ich Ihnen den Raum für Empathie für all die Schriftsteller*innen, die hier sind, um mit Ihnen die Erfahrungen ihres Lebens zu teilen. Und ich hoffe, dass ich Ihnen eine Tür für eine bessere Aufnahme anderer Kulturen geöffnet habe.
Für weitere Informationen zum Thuner Literaturfestival schaut auf: https://www.literaare.ch/autorinnen-und-autoren
Inzwischen ist ein Teil meines Romans „Liebe im Militärrat“ im Online-Magazin Literaturblatt.ch erschienen. Die Geschichte ist jetzt hier zum Nachlesen:
https://literaturblatt.ch/zaher-al-jamous-die-liebe-im-militaerrat/