Es heisst, in jeder Krise ist zugleich eine Chance verborgen.
Zu Beginn fühlte sich die Quarantänezeit für viele von uns wie das Ende an.
Keine sozialen Kontakte, keine Restaurants, keine gemeinsamen
Ausflüge.
Schon bald jedoch erweiterte sich unser Horizont virtuell.
Als Moderatorin für den Verein „Femme-Tische“ erhalte ich stets viele Fragen,
Anrufe, Geschichten und Nachrichten über Whatsapp, Instagram
und Facebook. Die Frauen fragten mich: Was ist das für ein Virus?
Wird ein Krieg kommen? Warum sind wir wie gefangen? Weshalb
dürfen wir zu manchen Familienmitgliedern keinen Kontakt haben?
Wie ertragen wir diese Totenstille?
Manche dieser Frauen motivierten mich aber auch durch ihren Mut, selbst umzudenken
und aktiv zu werden. Sie malten Bilder, strickten zu Hause, hatten mehr
Zeit zum Lesen der aktuellen Nachrichten, sie erstellten die Tages- und Stundenpläne
für ihre Kinder und versuchten allgemein, optimistisch zu bleiben.
„Wir müssen Kämperfinnen werden in dieser schwierigen Zeit, sagten sie. Denn
Katastrophen brauchen Helden und Heldinnen und wir brauchen mehr Brückenbauer und
Brückenbauerinnen in dieser Welt“. Brücken bauen als ein Heilmittel für Veränderung und
Vernetzung während der Quarantänezeit, na ja… Das schien mir erst einmal
merkwürdig.
Der Verein „Femme Tische“ übernahm seinerseits Verantwortung und organisierte die Möglichkeit,
sich in virtuellen Runden regelmässig auszutauschen. Als Frau Lechmann, die Standortleiterin mich über die
Möglichkeit der Leitung dieser virtuellen Runden informierte, war ich zunächst skeptisch. „Probier es doch einfach!“, ermunterte sie mich.
Das tat ich und war schon in der ersten Runde absolut motiviert, mein Bestes zu geben. Wie aber sollte ich ruhig bleiben, wenn
die überforderten Mütter mich um ihren Rat fragen? Als Moderatorin brauchte ich doppelte Standfestigkeit
und begann deshalb, als Inspiration für all die Frauen, heroische Geschichten über Frauen zu erzählen.
In den Runden waren viele Frauen dabei, die ich seit langer Zeit kenne, die aber in dieser Zeit sehr viel
besorgter waren als üblich. „Wir vermissen unsere Familie“ klagten viele und eine ältere Frau fragte „Wer
trägt die Schuld an diesem Virus?“ „Wie lange wird diese Krise andauern?“ oder „Welche Folgen wird
die Wirtschaftskrise für uns alle haben?“ waren Fragen die ebenfalls häufig auftauchten.
In jeder Runde konnte ich fühlen, dass die Corona Zeit bei vielen Frauen Depressionen ausgelöst
oder verstärkt hatte. Mein erster und mein letzter Satz in diesen Runden war deshalb stets:
„Morgen ist ein neuer Tag und der kann besser werden als dieser“.
Die virtuellen Femme-Tisch Runden finden nach wie vor statt und ich bringe mich inzwischen gerne dort mit meinen
Möglichkeiten ein. Oft erinnere ich die Frauen an die Geschichte „Die anderen Brücken“ von Anne Steinwand.
Denn diese anderen Brücken zu bauen, das geht auch virtuell.
DIE ANDERE BRÜCKEN
Du hast ein schönen Beruf sagte das Kind zum alten Brückenbauer.
Es muss schwer sein, Brücken zu bauen.
Wenn man es gelernt hat, ist es leicht, sagte der alte Brückenbauer.
Es ist leicht, Brücken aus Beton und Stahl zu bauen.
Die anderen Brücken sind sehr viel schwieriger, sagte er.
Die baue ich in meinem Träumen. Welche anderen Brücken? fragte das Kind.
Der alte Brückenbauer sah das Kind nachdenklich an.
Er wusste nicht, ob es verstehen würde. Dann sagte er:
Ich möchte eine Brücke bauen von der Gegenwart in die Zukunft.
Ich möchte eine Brücke bauen von einem zum anderen Menschen,
von der Dunkelheit in das Licht, von der Traurigkeit zur Freude.
Ich möchte eine Brücke bauen von der Zeit zur Ewigkeit, über alles Vergängliche hinweg.
Das Kind hatte aufmerksam zugehört.
Es hatte nicht alles verstanden, spürte aber, dass der alte Brückenbauer traurig war.
Weil es ihm eine Freude machen wollte, sagte das Kind:
Ich schenke Dir meine Brücke.
Und das Kind malte für den Brückenbauer einen bunten Regenbogen.
Anne Steinwand
*Das Bild entstand während der Quarantäne-Zeit Künstlerin: Lira Bojku